29. November 2021

Lücken im Fortschrittsnarrativ der Ampel bei Start-up Förderung und Finanzierung


In mehreren Abschnitten widmet sich der Koalitionsvertrag der Ampel der Start-up Förderung und der Start-up Finanzierung. Neben dem zentralen Bereich „Start-up-, Gründungs- und Innovationsförderung“ sind das die Abschnitte „Digitale Wirtschaft“ und „Innovationen und Transfer“ (aus der Wissenschaft).

Start-up Finanzierung
Dass bei der Finanzierung von Start-ups in Deutschland ein großer Nachholbedarf besteht, insbesondere gegenüber den USA und Großbritannien, ist kaum zu bestreiten. Dennoch spielt das Thema Finanzierung von Start-ups im Koalitionsvertrag eine eher untergeordnete Rolle, die der Bedeutung einer guten Finanzierungsstruktur für den Aufwuchs einer nachwachsenden Unternehmemslandschaft, gestützt auf neue Technologien, kaum gerecht wird.

Das richtige Ziel der künftigen Bundesregierung, digitale Schlüsseltechnologien und Zukunftstechnologien zu fördern, die z.T. namentlich aufgeführt werden – KI, Quantentechnologie, Wasserstoff, Medizin, nachhaltige Mobilität, Bioökonomie und Kreislaufwirtschaft – ist nur mit einer guten Start-up Finanzierungsstruktur zu erreichen. Eine Verknüpfung dieses Ziels mit der Start-up Finanzierung, wie sie BAND gefordert hat, ist allenfalls in Ansätzen erkennbar.

Der Text des Ampel-Vertrages bleibt hierzu eher im Allgemeinen und wird z.T. kryptisch:
„Die staatliche Förderbank KfW soll… als Co-Wagniskapitalgeber wirken“. Man fragt sich, ob damit auch ein Co-Finanzierungsinstrument für Business Angels erfasst ist. BAND hatte einen Business Angels Fonds vorgeschlagen, bei dem nach dem Vorbild des European Angels Fonds (EAF) die Angels als Treuhänder fungieren. Die Pandemieinstrumente haben gezeigt, dass gemeinsame Ventures der öffentlichen Stellen mit Angels zu sehr zufriedenstellenden Ergebnissen führen, und zwar für beide sowie vor allem auch für die Start-ups.

Außerdem soll die KfW „stärker als Innovations- und Investitionsagentur“ auftreten. Hier müsste erst einmal erklärt und geklärt werden, was damit gemeint ist, um eine Wertung vornehmen zu können.

Für Ausgründungen aus Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen wird ein spezieller Fonds avisiert: „Wir sind offen für die Etablierung eines German Tech Transfer Fund.“
Das ist sehr zu begrüßen. Was bedeutet aber, dass die Ampel „offen ist“? Im Übrigen sollte auch hier gelten, dass der Fonds als Co-Venture mit Business Angels ausgestaltet werden sollte.

Im Abschnitt „Digitale Wirtschaft“ findet sich der Satz: „Wir fördern digitale Startups in der Spätphasenfinanzierung und stärken den Venture-Capital-Standort.“ Nur hier taucht der Begriff Venture Capital überhaupt einmal auf. Ist Venture Capital demnach nur für digitale Start-ups wichtig? Ist nicht auch die Klimawende das große Ziel der Ampel, für das Start-ups wegen ihrer disruptiven Geschäftsideen einen maßgeblichen Beitrag leisten?

Obwohl die Hochtechnologie Start-ups zum Fortschrittsnarrativ der Ampel gehören, findet sich also kein Konzept der Koalition, wie die Start-ups als die Unternehmen des Fortschritts finanziert und gefördert werden. Dazu müsste eine breite Offensive zum Ausbau der Angel und Venture Capital Landschaft gestartet werden. Dafür wäre es wichtig, mehr privates Kapital in die Start-up Finanzierung zu lenken. Es gibt genügend Vermögen in Deutschland, die dafür genutzt werden können.

Zum Thema „Anreize für privates Kapital“ enthält der Ampel-Vertrag nur diesen Satz:
„Wir wollen ermöglichen, dass privates Kapital institutioneller Anleger, wie Versicherungen und Pensionskassen, für die Startup-Finanzierung mobilisiert werden kann.“ Das bezieht sich vermutlich auf den Zukunftsfonds, für den auch BAND genau dies gefordert hat. Aber es geht um mehr: Auch viele mittelgroße private Vermögen haben die Assetklasse Start-ups noch nicht „entdeckt“. Auch sie sollten mobilisiert werden. Wir brauchen auch mehr Business Angels.

Obwohl Business Angels die wichtigsten Frühphasenfinanzierer in Deutschland sind, sucht man den Begriff „Business Angel“ im Koalitionsvertrag vergeblich. Auch der INVEST Zuschuss für Wagniskapital wird nirgends erwähnt. Vielleicht, weil zurzeit, nach demnächst zehnjähriger Existenz des Programms, eine Überprüfungsphase läuft? BAND wird dafür kämpfen, dass das Programm auch nach dem Auslaufen der jetzigen Programmperiode fortgeführt wird.

Start-up Förderung
Gezielt gefördert werden sollen einzelne Gruppen von Gründungen:

  • Für eine Kultur der zweiten Chance soll ein neues Förderinstrument geschaffen werden.
  • Hürden für Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund beim Zugang zu Finanzierungen werden abgebaut.
  • Für Gründerinnen wird „ein besserer Zugang zu Wagniskapital“ (der einzige Zusammenhang, in dem dieses Wort fällt) sichergestellt.
  • Wir wollen den Anteil von Gründerinnen im Digitalsektor erhöhen. Dafür schaffen wir ein Gründerinnen-Stipendium und reservieren einen Teil des Zukunftsfonds.“
  • Frauen sollten stärker in staatlichen Investment-Komitees vertreten sein.
  • Sozialunternehmen, Genossenschaften, Integrationsunternehmen und Unternehmen mit gebundenem Vermögen sollen gefördert werden. (Innerhalb des Kapitels Start-ups nimmt dieser Bereich einen breiten Raum ein.)
  • „Wir stärken den Games-Standort Deutschland und verstetigen die Förderung.“

Zweifellos ist es in der Tendenz richtig, einzelne besonders förderwürdige Gruppen und Bereiche zu unterstützen. Auch BAND hatte vorgeschlagen, für Investorinnen und Gründerinnen bessere Konditionen vorzusehen. Nicht immer aber scheint alles schlüssig zu sein. Warum gibt es z.B. das Gründerinnen-Stipendium nur im Digitalsektor? Schließlich sind weibliche Gründer in allen Sektoren stark unterrepräsentiert.

Einen neuen Anlauf für mehr Start-ups aus Hochschulen nimmt der Abschnitt über Hochschulausgründungen. Dort heißt es:
„Für einen echten Innovationsschub müssen wir Ausgründungen vorantreiben. Wir werden
Hochschulen Mittel des Bundes zur Schaffung einer Gründungsinfrastruktur für technologisches wie soziales Unternehmertum bereitstellen. Wir wollen die Ausgründungskultur in Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen in der Breite stärken. Der dazu benötigte Kulturwandel wird durch Science-Entrepreneurship-Initiativen begleitet.“

In der Tat sind Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen das wichtigste Nachschubreservoir für Start-ups. Jedoch fehlt es an einer systematischen bundeweiten Struktur, um dieses Potential richtig zu heben. Es ist zu hoffen, dass nun die Weichen in Ergänzung zum EXIST-Programm richtig gestellt werden.

Ansonsten will die Ampel die bekannten Förderprogramme für Gründungen und SME „bedarfsgerecht und flexibel ausgestattet und dynamisch“ fortschreiben. Das lässt alles offen und klingt ein wenig nach „Business as usual“.

Strukturelle Stärkung der Start-up Landschaft
Hier verspricht die Ampel
• „One-Stop-Shops“,
• Gründungen innenhalb von 24 Stunden,
• Zugang zu öffentlichen Aufträgen, z.B. „Öffentliche Ausschreibungen und Beschaffungsprozesse gestalten wir z. B. für Gov- und EduTech-Start-ups einfacher.“

Da dies alles schon mehrfach versprochen, aber nie umgesetzt wurde, bleibt zu hoffen, dass die Ampel Wort hält.

Zweifel am wirklichen Fortschrittswillen wecken die Passagen über die Mitarbeiterbeteiligung. Dieser widmen sich zwei ähnliche Sätze an verschiedenen Stellen des Papiers, z.B. „Die Mitarbeiterkapitalbeteiligung werden wir attraktiver machen, u. a. durch eine weitere Anhebung des Steuerfreibetrags.“

Schade, das ist zu wenig. Warum folgt die Ampel nicht der von der bisherigen Bundesregierung eingegangenen Selbstverpflichtung im Rahmen einer europäischen Erklärung, Stock Options, die für Start-ups handhabbar sind, einzuführen. Diese „Declaration on the EU Startup Nations Standard of Excellence“ vom 19.03.2021 bindet auch Nachfolgeregierungen. Es heißt dort: „Stock options are recognised and subject to capital gains tax at the moment of cash receipt and not before. Allow startups to issue stock options with non-voting rights, to avoid the excessive burden of having to consult large numbers of minority shareholders.“

Fazit:
Ein in sich konsistenter Abschnitt zur Start-up Finanzierung und –Förderung und zum strukturellen Aufbau der Start-up Landschaft wäre wünschenswert gewesen. Dabei hätte die Start-up Finanzierung mit den Fortschrittsthemen der Ampel-Koalition, Klimawende und neue Technologien, verknüpft werden sollen. Viele Aspekte sind eher willkürlich aneinandergereiht und werden nur sehr vage angeschnitten. Der Stellenwert einer guten Finanzierungs- und Förderstruktur für Start-ups wird zu sehr von Einzelthemen für einzelne Gruppen überlagert. Stringente Ansätze zur Überwindung der Defizite der Start-up Finanzierung werden vermisst und lassen sich allenfalls erahnen. Die Frage, wie das reichlich vorhandene private Vermögen in die Finanzierung von Start-ups gelenkt werden kann, wird nur sehr eingeschränkt gestellt und beatwortet. Der Start-up Drain nach Übersee wird so kaum reduziert werden können.

Will man das Positive sehen, dann ist es vielleicht gut, dass der Koalitionsvertrag bei vielen Punkten der „Start-up, Gründungs- und Innovationsförderung“ im Allgemeinen verharrt. Dann kann manches, wenn es denn wirklich kommen sollte, feiner abgestimmt werden als es offensichtlich in den wenigen Wochen der Bildung der Koalition möglich war.